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Polizeifotos in den USADie Faszination der Unterwelt
Polizeifotos sind in den USA Kult, der "American Mugshot" ist längst ein eigenes Genre in Kunst und Medien geworden. Was ist so faszinierend an den Verbrechervisagen?
VonAnnika Lasarzik
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Hamburg - Stahlblaue Augen, volle Lippen: Das Gesicht von Jeremy Meeks ist weltbekannt. Als die Polizei das Foto des 30-jährigen US-Amerikaners Mitte Juni im Internet veröffentlichte, löste sie einen Begeisterungssturm in den sozialen Netzwerken aus: "Mama, ich bin in einen Verbrecher verliebt", schrieben Frauen unter das Bild. Das gute Aussehen des Sträflings faszinierte - ganz so, als wären Schönheit und ein Hang zum Gesetzesbruch nicht miteinander zu vereinbaren.
Das Interesse an "Mugshots", also Fotos, die nach einer Festnahme von Verbrechern oder Verdächtigen gemacht werden, ist groß. Für die amerikanischen Medien sind sie ein lukratives Geschäft: Internetseiten wie "Mugshots Online" veröffentlichen die Bilder und laden zur hämischen Kommentierung ein. Diese Online-Datenbanken sind in der Regel gut sortiert und können nach Name, Wohnort oder Alter der abgebildeten Personen durchsucht werden. Ob die Porträtierten unschuldig sind, ist nebensächlich, Verdächtige stehen in einer Reihe mit verurteilten Schwerverbrechern.
Print-Magazine wie das "Slammer-Magazin" und "Busted" haben sich auf die Veröffentlichung lokaler Polizeifotos spezialisiert und finden reißenden Absatz. Auch seriöse Medien nutzen den Mugshot-Hype für sich. Die "Chicago Tribune" veröffentlicht Polizeifotogalerien im Internet, die "St. Petersburg Times" aus Florida hat mit Tampabay.com eine eigene Website geschaffen, auf der die Festnahmen der vergangenen 24 Stunden gezeigt werden. Zwar geben sich die Lokalzeitungen seriöser, indem sie die Bilder durch Polizeiberichte ergänzen. Unterhaltsamer als die Texte sind allerdings die müden Blicke, blutigen Lippen und zerstörten Frisuren auf den Fotos.
Besonders "Celebrity Mugshots" verkaufen sich gut. Wenn Prominente wie Justin Bieber unter Drogeneinfluss Auto fahren, bleibt das der Öffentlichkeit selten verborgen - und das passende Porträt der Schande garantiert mehr Aufmerksamkeit, als eine bloße Meldung dies je könnte.
Fotostrecke
Celebrity Mugshots: Bitte Lächeln
Foto: DPA/ Stockton Police Department
Die Mugshot-Industrie profitiert von der Neugier und Schadenfreude der Leser. Doch neben Voyeuren interessieren sich auch Künstler und Sammler für die Porträts aus Polizeigewahrsam.
Für Arne Svenson etwa sind die Mugshots ein Einblick in die Abgründe der Gesellschaft. Rund 1500 Motive hat der Fotograf untersucht und die besten Bilder im Sammelband "Prisoners" veröffentlicht. Jedes Bild erzählt eine andere Geschichte: Da ist der notorische Kleinkriminelle, der immer wieder auf der Polizeiwache landet. Der charmante Pechvogel, der offenbar nur zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen ist. Da sind die Zuhälter, Schläger, Bankräuber, die schon auf den ersten Blick bedrohlich aussehen. Aber auch der 14-jährige Junge, der so unschuldig in die Kamera blickt - und festgenommen wurde, weil er einem Mann kaltblütig in den Hinterkopf geschossen hatte.
Zahlen, um den Ruf zu retten
Svenson sucht in den Bildern eine Erklärung für das Böse. "Wir wollen in den Fotos einen Hinweis auf das Schlechte entdecken. Was unterscheidet schlechte Menschen von uns? Ist es die Nase? Ist es die Form des Mundes? Wo ist es?", fragt Svenson in einem Film über Mugshots, den SPIEGEL TV am Sonntagabend zeigt (23:55 Uhr, RTL).
Seit Mitte des 19. Jahrhunderts werden in den USA Polizeifotos gemacht, historische Mugshots sind bei Sammlern besonders begehrt. Die alten Fotos sind ein Spiegel amerikanischer Geschichte und zeugen davon, wie sich Gesetze ändern können: Frank Sinatra wurde in den Dreißigerjahren festgenommen und auf der Polizeiwache fotografiert, weil er eine Frau "unter dem Versprechen der Heirat" zu unehelichem Sex verführt haben soll.
Der mediale Pranger für Kriminelle selbst ist legal: Dass Namen und Polizeifotos in vielen Bundesstaaten frei zugänglich sind, ermöglicht das Bundesgesetz "Freedom of Information Act", der Datenschutz muss zurückstehen. Lokale Polizeibehörden stellen die Fotos selbst auf frei zugängliche Server oder veröffentlichen sie, so wie im Fall von Jeremy Meeks, auf Facebook. Wer sich mit seinem Polizeifoto dann in einem der Print-Magazine oder im Internet wiederfindet, muss mit der Veröffentlichung leben - oder viel Geld zahlen: Bilder, die etwa auf Mugshot.com erscheinen, können nicht einfach entfernt werden. Betroffene müssen sich an spezielle Agenturen wie Removeslander.com wenden, die dafür sorgen, dass Fotos und Namen gelöscht werden, berichtet "ABC-News". Bis zu 400 Euro kostet ein solcher Auftrag. Die Vermutung, dass diese Agenturen mit Betreibern der Mugshot-Webseiten kooperieren, liegt nahe. Eine Verbindung zwischen den Unternehmen konnte bisher aber nicht nachgewiesen werden.
Mehr zur Geschichte des "American Mugshot" bei SPIEGEL TV Magazin am Sonntag ab 23:55 Uhr bei RTL.